Indoor

AUF DEM WEG ZUM ZYKLUS? Renate Puvogel "UNTIL TODAY" ISBN:978-3-7757-2608-5

Die Fotos der neueren Serien Indoor und noch stärker die von Salta, Seoul und Sar entbehren nahezu sämtlicher charakteristischer Einzelheiten, Unterschiede zwischen den Arbeiten sind auf unscheinbare Kleinigkeiten begrenzt. Gemeinsam ist den
Fotos der vier Serien, dass sie in Flughäfen entstanden und aus der Empfangshalle heraus einen Ausblick auf die Landschaft bieten. Peters hat sich also nicht gescheut, die Fotos durch reflektierende Fensterscheiben hindurch aufzunehmen – für einen Laienfotografen stets eine lästige Beeinträchtigung. Nichts von irgendwelchen Lichtbrechungen oder Unschärfen ist jedoch auf Peters’ Fotografien zu entdecken, umso reizvoller zeichnet sich das Raster der Fensterrahmen auf dem blanken Boden im Vordergrund ab. Diese Gitterstruktur bildet die Koordinaten der Darstellung, gliedert sie und enthebt sie der Wirklichkeit, um sie in die Nähe der Abstraktion zu führen. Über diese vergleichbaren Elemente hinaus kommen jeder Serie besondere Eigenschaften zu. So hat Peters zwei Fotografien im Nachhinein zu Sar 1 und Sar 2 zusammengestellt, weil die Warteräume zweier Flughäfen ähnliche architektonische Details aufweisen (S. 156, 157). Da sowohl das Foto mit dem stabilen wie auch das mit dem gekippten Fensterskelett mit einem weißen Rand umgeben ist, verselbstständigen sich die Fenstersprossen und schweben gleichsam frei im Raum.
Die Serie Salta 1–4 beruht auf einzelnen Aufnahmen an ein und demselben Ort, die Peters kaum verändern musste (S. 154, 155). Ihn hat die verblüffende Farbkonstellation und die lineare Schichtung der
Flächen inspiriert. Der blaue Himmel, die Grünfläche, das beige Rollfeld und der weinrote Fußbodenbelag fügen sich in das Koordinatensystem der schwarzen Fensterrahmen in einer Weise ein, dass ein nahezu gegenstandsloses Bild entsteht. Die Komposition lässt durchaus an Künstler des Konstruktivismus oder des De Stijl denken (wenn auch Piet Mondrian zum Beispiel das Grün generell gemieden hat). Bei dieser Serie wird besonders deutlich, dass das Einzelfoto zwar bestehen kann, dass aber die Serie eine Grundidee noch besser zur Geltung bringt. Mit seiner Methode der seriellen Fertigung nähert sich Peters erstaunlicherweise den Kriterien eines Zyklus an; dieser zeichnet sich dadurch aus, dass die Einzelarbeiten ein zentrales Thema umkreisen und das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.
In der Serie Seoul schließlich treibt Peters die Idee einer den realen Gegenstand überwindenden Fotografie zu einem Höhepunkt (S. 158, 159). Auch hier hat er durch das in braune Rahmen gefasste Fensterglas fotografiert, dabei hat er aber die ferne Landschaft gleichsam als ein abstraktes, nicht zu ortendes Gittermuster an die Fensterrahmen herangeholt. Das Muster setzt sich an den rechten und linken Seiten fort und erreicht dort durch die Intensivierung der Farbe sogar einen höheren Realitätsgrad. Damit scheint es über den Bildrahmen hinaus fortsetzbar. Plastizität, Tiefe oder gar Räumlichkeit sind gänzlich ausgeschaltet. Andererseits verleiht der Kunstgriff, in die Fotos Abbildungen von Kirschblüten einzuschleusen, der Gesamtinszenierung einen besonderen Charme. Und dies, obgleich sich die Blüten zu undeutbaren, formlosen weißen Flächen zu verflüchtigen scheinen. Aber sie geben ein zusätzliches Indiz, dass die in beigebraunen Tönen gehaltenen Arbeiten als Inkarnation des Asiatischen wahrzunehmen sind.
Das Fernöstliche kann man bei dieser Serie als die thematische und geistige Mitte bezeichnen. Die Fotos als zyklische Komposition zu werten scheitert allerdings daran, dass das Thema lediglich unter einem Aspekt beleuchtet wird. Dennoch sei abschließend die Frage gestellt, ob sich die Arbeit von
Ralf Peters insgesamt mehr oder weniger auf ein
zyklisches Gestaltungsprinzip hinbewegt.

DIE NEUE SICHTBARKEIT DER FOTOGRAFIE ZU ZWEI WERKGRUPPEN VON RALF PETERS /Klaus Honnef Katalog "UNTIL TODAY" ISBN:978-3-7757-2608-5

Einen solchen Eindruck bestätigen die Bildzyklen, die Ralf Peters durch vermeintliche Fenster mit Blick auf die Außenwelt realisiert hat. Besonders, wenn man sie mit den Bildnissen der zwölf »unterschiedlichen« Frauen in Beziehung setzt. Sofort wird klar, dass sie in Korrespondenz wirken. Mit anderen Worten: Die eine Werkgruppe ergänzt die andere. Im gegenseitigen Wechselverhältnis erweitern sie das Feld des potenziell Sichtbaren. Noch aufschlussreicher wird der Vergleich dank des Umstandes, dass es sich bei einigen der Fensterbilder, wie den in Seoul versammelten, um digital bearbeitete Fotografien handelt; oder wie bei den drei »Originalaufnahmen« der Werkgruppe Indoor (S. 101–103) um »die fast leeren« Bilder, »die am Computer frei geträumt worden« sind (Peters). Was erblicken die Betrachter? Einen Widerschein des Realen oder eine bloße Computersimulation?
Auch diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Seoul bildet eine Gruppe von drei gleichformatigen nahezu quadratischen (90 × 84 cm) Bildern von identischer Struktur (S. 158, 159). Oben und unten sind die Bilder mit einem Binnenrahmen versehen, rechts und links angeschnitten, wobei der Schnittrand durch zwei unweit davon aufstrebende Vertikalen in der Binnenfläche noch einmal verfestigt wird. Die Bilder entwerfen eine Art Fenster im Fenster. In der oberen Hälfte durchschneidet eine schmale Horizontale die gesamte Bildfläche. Dahinter entfächert sich ein gitterförmiges Gefüge. In der mittleren Partie ist es deutlicher sichtbar als in der unteren. Das Gitter setzt sich jenseits der Binnenrahmen andersfarbig fort. Es ist bald vollständig, bald nur zum Teil, bald transparent übertüncht, als hätte jemand mit weißer Farbe darüber gestrichen. Pure Illusion. Kein Maler hat Hand angelegt. Selbst das feine Relief der Binnenrahmen und die jedes Bild abschließende Konsole mit Reliefwirkung sowie der Balken auf der Konsole im zentralen Bild des Triptychons sind das Werk einer elaborierten Rechenoperation. Ob bewusst oder unbewusst, Peters zitiert das aus sich leuchtende »Glanzlicht« der Malerei, das sich laut Ernst Gombrich dem Apelles, dem überragenden Maler der Antike, verdankt. Ist es in diesem Zusammenhang wirklich bloßer Zufall, dass kein originales Gemälde von ihm überliefert ist? Dabei sind es bei Peters ausschließlich diese glänzenden Relieflinien, die den Charakter des Fensterbildes schaffen und so etwas wie eine räumliche Dimension wenigstens suggerieren.
Widerschein des Realen oder Computersimulation? Weder noch, sowohl als auch, gleichermaßen. Zu sehen ist lediglich, was zu sehen ist, präziser, was sich vermöge genauen Anschauens entfaltet, ganz im Sinne von Frank Stellas »What you see is what you see«. Doch anders als Stella geht es Ralf Peters nicht um die Herstellung eines selbstreferenziellen Bildobjektes, vielmehr um die Herstellung von Sichtbarkeit. Nichts ist weniger selbstverständlich als das.
Denn: »Die Dinge werden nicht gesehen, weil sie sichtbar sind, sondern umgekehrt, sie sind sichtbar, weil sie gesehen werden«, notierte Diane Arbus in ihrem Tagebuch. Die große Fotografin fasste in der kurzen Sentenz zusammen, was die Kunst, seit sie sich in der westlichen Welt aus dem Banne der Religion löste, gewissermaßen im Auge gehabt hat: Die Dinge sichtbar zu machen. Die sichtbare Welt ist letzten Endes das Produkt von Bildern.
Inzwischen decken die visuellen Massenmedien mit abgeschliffenen und zu Klischees verkommenen Bildern wieder zu, was die Kunst in die Sphäre der Sichtbarkeit navigiert hat. Die avancierte Kunst reagiert auf die optische Vermüllung, indem sie die Bedingungen der Bilder einer anschaulichen Reflexion unterwirft. Konkret: Die Sichtbarkeit ist ihr Motiv und nicht mehr die Darstellung eines bestimmten Motivs. Anstelle eines in Wirklichkeit tatsächlich abwesenden Motivs, eines auf »Realität« verweisenden Zeichens, werden demzufolge in Peters’ »fotografischen« Bildern vor allem die Möglichkeiten, Sichtbarkeit zu erzeugen, sichtbar. So wenig die Augen der Different Persons den Betrachtern erlauben, in ihre Seele zu blicken, so wenig gerät vor den Fenstern des Triptychons Seoul die südkoreanische Metropole ins Blickfeld. Stattdessen erblickt man potenzielle Bilder von Menschen und Dingen, deren Referenz auf die Welt außerhalb der Bilder äußerst fragil und unsicher ist. Allenfalls Spuren der Realität haben sich erhalten.
In der Konsequenz verschiebt Ralf Peters den Fokus in seinen perfekt anmutenden Bildern von der Zeichenhaftigkeit des »Fotografischen« zur Veranschaulichung der genuinen Sprache der Bilder. Der Gegensatz von analoger und digitaler Fotografie hebt sich unabhängig von ihrer jeweiligen technischen Grundlage auf. Das Ergebnis ist eine scheinbare Tautologie: Jedes Bild des Künstlers vermittelt vor allem anderen zunächst seine Bildlichkeit; konkret: Es ist ein Bild. Darin manifestiert sich nicht zuletzt auch die kritische Komponente von Peters’ Werk.

Daniel Spanke, Die Wirklichkeit des Fotos in der Kunst, Ralf Peters: Plastische Fotografie ISBN:3-980836-2-7

„Wer nicht denken will fliegt raus.“ – diese schulmeisterliche Drohung auf einer der berühmten Künstlerpostkarten Joseph Beuys’ gilt auch für die Betrachtung der Werke Peters’. Denn wir könnenm zwar die Urlaubsidyllen, die uns in den großformatigen Fotos wie etwa in Calypso (S. 119) präsentiert werden, auch ausschließlich schön finden und genießen – doch werden wir damit ihrem Anspruch an uns und ihrem Mehrwert gegenüber ihrer sprachlosen ästhetischen Affirmation nicht gerecht. So ist zu bedenken, dass das Bild Calypso ebenfalls nicht das schöne Sein darstellt, sondern auch aus der kaum sichtbaren Montage unterschiedlicher und in der Realität niemals gleichzeitig zu habender Ansichten entstanden ist. Die großartige Überschau, die uns das Gefühl gibt, das unter uns liegende Terrain gleichsam optisch zu beherrschen, ist eine bildliche Illusion.

Hier nähert sich Peters der renaissancehaften Künstler-Attitude Andreas Gurskys, der uns seine quasi- göttliche Macht mitteilt, indem wir uns von den durch ihn entworfenen gigantischen Welten überwältigen lassen (Abb. 2). Gleichzeitig sind wir durch ihre Künstlichkeit und ihre Gewalt, die sie der Wirklichkeit antun aufgerufen, dieser Verführung zum Aufgehen in einem vermeintlich Größeren zu widerstehen und die Mechanismen dieser Überwältigungsästhetik zu durchschauen. Wir können sehr wohl genießen, wenn wir uns dabei des Illusionären, auf dem der Genuss beruht, bewusst bleiben und mit der Haltung der Skepsis wappnen. Selbstverständlich hat diese „geistige Bewegung“ nicht nur etwas mit den Bildern sondern auch mit der Wirklichkeit zu tun, die sie uns zeigen – eben etwa der des Urlaubs in Peters’ Werken.

Gerade in seinen Serien wird diese Haltung der Skepsis, die die Distanz zwischen betrachtender Person und Bildwelt gegen deren Verführungsmacht wahrt, gefördert. Denn das Vergleichen zwischen den einzelnen Bildern der Reihe lässt die Mechanik der Illusion erst deutlich werden, da es ein zwischenzeitliches Aussteigen aus der Bildwelt bedingt. Erst dadurch wird offenbar, dass eigentlich das überschmale Format der Serie Skyline (S. 18 und 36 - 49) das Thema dieser Bilder ist. Ihre obere Zone wird zur abstrakten, fast monochromen Fläche, die nicht mehr für „Himmel“ steht, sondern eigene ästhetische Qualitäten entfaltet, die mit dem Bild als begrenzter Fläche spielen.

Dafür hat der Künstler diese Fläche bereinigt und Wolken oder, in den „Nachtstücken“, Sterne kom-plett entfernt. Ähnlich wie in den Werken der Serie Open Studies wird deutlich, dass es Peters eben nicht um Dokumentation, sondern um die Inszenierung der spezifischen Ästhetik des Bildes geht, um die Verwandlung von Wirklichkeit ins Bild. Ebenfalls erst durch die Reihung wird deutlich, wie sich die Werke der Serie Indoor (S. Abb. 3 und 94 - 101) ausschließlich durch die Anordnung der Möbel im Raum, der mobilia (im Gegensatz eben zu den Immobilien) und die von ihnen hervorgerufenen Schatten und Spiegelungen unterscheiden. Denn in der Tat ist zum Beispiel die Landschaft mit ihrem Himmel im Hintergrund in jedem Bild der Serie derselbe - Ralf Peters hat sie hineinkopiert. Dies lässt sich besonders gut durch die Fensterform mit quadratisch angeordneten Sprossen erkennen, durch die man die Hintergründe der Bilder wie durch ein gleichmäßiges Raster betrachten und so überprüfen kann. In der Tat stellen solche Bildraster schon seit frühester Zeit weniger eine Methode des Entdeckens von Gleichem als der Herstellung von Gleichem, dem Kopieren dar. Am Zug der Wolken ließe sich das Verstreichen von Zeit wahrnehmen. Hier aber benötigen die unterschiedlichen Möbelarrangements keine Zeit – ihr Umstellen ist kein Vorgang wie in der Lebenswirklichkeit, sondern die Zeitform des Bildes ist die Plötzlichkeit und die stehende Dauer. Im Bilde ist ganz unproblematisch, was sonst an ein Mirakel grenzte, weil im Geltungsbereich des Bildes, markiert durch das Format, eigene Gesetze gelten. Wie in einem aufgespannten Feld, in dem jeder Punkt unverzichtbarer Teil eines Ganzen ist, schafft der Künstler in jedem Bild eine Komposition, die auf der Fläche ausgewogen ist. Das Fenster und seine Reflektion im Boden bilden etwa die Vertikale zum Horizont der Möbelarrangements. Es entsteht eine bildstabilisierende Kreuzform, die der Veränderbarkeit der Komposition auf der Ebene der Möbelelemente das Festgefügte einer Ganzheit entgegensetzt. In der Wirklichkeit des dreidimensionalen Raumes hingegen kann diese Bildform kaum eine Rolle spielen, weil sie nur für einen Blickpunkt gälte und dort eben nicht im Hinblick auf Begrenzungen, die das Bild ausweisen, wahrnehmbar ist. Im Leben sind solche Kunstwerke die wahren Refugien glückhafter Erfahrung. Sie gaukeln keine Paradiese vor, sondern das Einsehen ihrer Künstlichkeit ist sogar die Bedingung dafür, dass wir uns geistig auf ihr Niveau heben können. Die anfängliche Bemerkung, dass etwas nicht stimme mit den Bildern Ralf Peters, beruht auf der Irritation unserer üblen Gewohnheit, Bilder für die Wirklichkeit zu nehmen, und setzt die notwendige Energie frei, anderes Sehen zu lernen. In einer Kulturepoche wie der jetzigen, in der Bildern so viel Wirkungsmacht übertragen wird, ohne dass die Instrumente des Verstehens auf gleicher Ebene und allgemein mitentwickelt worden wären, könnten die hier geübten Techniken denkenden und nachdenkenden Sehens durchaus als Teil eines kulturellen Selbstentwicklungshilfeprogramms ange-sehen werden.

Link: Architektur, Ralf Peters; Galerie: Bernhard Knaus / Frankfurt, D