MIX

Die Wirklichkeit des Fotos in der Kunst, Daniel Spanke, Katalog: Plastische Fotografie ISBN:3-980836-2-7

Genau diese kulturell vertraut gewordene Überzeugungsmacht der Fotografie lässt diese eine Energie entwickeln, die uns umgekehrt die Wirklichkeit auch an den Bildern messen und ausrichten lässt. Werbung und Popular-Medien leben nicht zuletzt von dieser normativen Kraft der Fotografie: Der Star ist so, wie das Bild, das Image, das von ihm gemacht wird – nicht wie die personale Wirklichkeit, mit all ihren Falten, Brüchen und Eigenarten, die sich kaum vermarkten lassen. Das Bild wird zum Vorbild der Wirklichkeit. Es gibt bestimmte Landschaftstypen, die lassen sich wohl nicht mehr anders denn durch die Brille der Bilder sehen, die von ihnen gemacht worden sind. Der Strand gehört dazu, der sich in allen geografischen Zonen dem Ideal des Südseestrandes zum Zwecke touristischer Erbauung anzunähern hat. Fotografien haben also nicht nur dokumentarische Funktion, sondern in hohem Masse auch projektiven Charakter – sie projizieren ihr Bild über die Wirklichkeit. In der Serie Mixes (S. 58-65) beschäftigt sich Ralf Peters mit dieser Facette des Bildes.

Es sind Fotos von maritimen, südlich wirkenden Ferienanlagen, die sich bei näherem Hinsehen und Vergleichen als Projekte erweisen. Denn sie sind offensichtlich aus einer Palette von Versatzstücken zusammenmontiert, die man in den verschiedenen Bildern der Serie immer wiedererkennt.

Da gibt es den runden Pool mit barockisierender Balustrade am oberen Ende (Masera, Ralmara, Tamara, Tana), das Hotelgebäude mit Balkonrisaliten und dazwischenliegenden Treppenhäusern (Melanie, durch Palmen etwas verdeckt: Aldiane, gespiegelt: Sonja und, etwas gekappt, Salina), die selbe und nicht nur gleiche Baumgruppe im Hintergrund (Tusan, Masera), der selbe Wolkenhimmel (Melanie, Ramano, Tamara und, etwas vergrößert, Tana). Peters beherrscht die Technik perfekt, die Bruchstellen dieser Bausteine zu verschleiern und sie zu einer bildlichen Ganzheit zu verschmelzen, so dass es tatsächlich wie die Fotografie einer existierenden Anlage wirkt, die das Licht auf dem Film gebannt hat. Zwar wäre dieses Montageverfahren ebenso in der Malerei möglich, doch in der Malerei gibt es keine schon als Bild vorliegenden Einzelteile, die technisch mühsam einer übergeordneten Bildoptik eingepasst und untergeordnet werden müssten. Das ganze Bild entsteht durch den Hand-auftrag von Farbe auf eine Oberfläche von vornherein künstlich – alles was in der Malerei zu sehen ist, muss gleichsam vom Künstler auch so gewollt und entschieden sein. Diese notwendige Willkür des Bildautors wird in der Fotografie oder hier besser dem color print (c-print) durch das quasi wissenschaftliche Bildentstehungsverfahren verdeckt. Die glatte, harte Oberfläche der reinen Abbildung, die möglichst wenig vom technischen Aufwand und dem Verfahren preisgibt, hat gegenüber der Malerei die größere Suggestionskraft. Ein im Foto vorgestelltes Projekt wird die Vorstellung, verwirklicht sein zu können, stärker fördern als in der Zeichnung oder Malerei oder in als künstlich zu erkennender Animation. In der Tat wirken die Bilder der Serie Mixes zunächst wie Vorschläge für eine Investorenkommission. Es fehlt ihnen eine ganz entscheidende Zutat: sie sind menschen- oder besser touristenleer. Ein Bild für potentielle Reisende würde sich damit um ein wichtiges bildrhetorisches Mittel bringen: den sich wohlfühlenden, entspannenden (und zahlenden) Mit-Gast. Offensichtlich wird dieser Bestimmungszweck vorausgesetzt, so dass er weggelassen werden kann, um die Anlagen selbst zu beurteilen. Doch bei aller Serialität der Mixes geht es Peters hier eben wohl kaum um die Typologie der Ferienanlage im Becherschen Sinne einer Bau-Archäologie. Im Gegenteil: die Anlagen, die er in seinen Bildern zeigt, gibt es, anders als die Tankstellen der Open Studies, faktisch (noch) nicht. Sehr wohl aber gibt es ähnliche Urlaubskomplexe – im Unterschied zu den Boxes sind die Mixes keine reinen Bildfantasien -, es könnte sie geben. Was der Künstler hier so eindrucksvoll wie unterhaltsam vorführt ist vor allem ein Verlust an Authentizität, an kultureller Echtheit. Wer einmal Urlaub an einem solchen, künstlich angelegten Ort gemacht hat, dem kann der Mangel an historisch tatsächlich Gewachsenem und an „echtem Leben“ durchaus auffallen. Manchmal wird das Pittoreske eines kleinen Dorfes mit Straßen, kleinen Häusern, Plätzen, öffentlichen Gebäuden und Wasserläufen mit Brücken gar nicht mal schlecht nachgeahmt. Aber mit “echten Bewohnern“, die über Generationen ihrer Lebenskultur Gestalt gegeben hätten, hat ein Ferienclub eben nichts zu tun. Wie in einer sozialistischen Mustersiedlung fehlt zum Beispiel in aller Regel eine Kirche. Es handelt sich um materialistische Pseudo-Paradiese aus denen das reale Leben der „Eingeborenen“ oft genug ganz konkret ausgeschlossen wird. Nicht nur dem Prinzip der Nachahmung folgen also die Planer dieser Anlagen, sondern dem in der europäischen Kunsttheorie bestens vertrautem Anspruch der Verbesserung der Wirklichkeit im künstlichen Werk. Das Freiluft-Schwimmbecken ahmt nicht nur einen See oder die geschwungene Küstenlinie nach (in der Tat spricht man auch von Pool-Landschaft), vielmehr verbessert es die Natur. Es steht etwa exklusiv nur den Gästen zur Verfügung, hat stets angenehm temperiert zu sein, erfordert keine langen Wege, reduziert die Gefahren der offenen See oder des trüben Gewässers auf ein zu vernachlässigendes Restrisiko usw. Es ist ganz und einzig auf die Funktion, dem Baden zu dienen, zugeschnitten. Das Künstliche ahmt also nicht mehr die Wirklichkeit nach, sondern umgekehrt: man schafft künstlich und nach eigenen Vorstellungen eine neue Wirklichkeit auf Zeit. Solche Anlagen sind ein Fokus, indem die typischsten westlichen Vorstellung vom besseren Leben studiert werden können: Von der all-inclusive-Versorgungsmentalität über das legalisierte dolce far niente, da der Erwerbszwang ausgesetzt ist, zur egalitären Paradiesgemeinschaft.

Diese Repräsentativität wird bedingt durch den Zwang zur Massentauglichkeit des Produkts „Urlaub in der Ferienanlage“ und diese bedingt auf wiederum die Austauschbarkeit und Ähnlichkeit der Komplexe. Wenn Ralf Peters seine imaginären Urlaubslandschaften also aus Versatzstücken

zusammenmontiert kommt er damit der Realität unserer touristischen Zweitwelt näher als wenn er nur das bereits Verwirklichte dokumentiert hätte.