Frauen - Männer

DIFFERENT PICTURES ÜBERLEGUNGEN ZUR KÜNSTLERISCHEN ARBEIT VON RALF PETERS / Raimar Stange Katalog "UNTIL TODAY" ISBN:978-3-7757-2608-5

Von Männern und Frauen?
Die Bilder von Ralf Peters verraten meist erst auf den zweiten Blick ihr prekäres Moment. Das gilt auch für seine Serie Männer/Frauen von 1998/99, in der der Künstler urbane Szenen aus New York City vorstellt (S. 35). Bei einer flüchtigen Wahrnehmung erinnern die Fotos ein wenig an Arbeiten von Beat Streuli, doch eine genauere Betrachtung erkennt schnell, dass es Ralf Peters um gänzlich anderes geht als dem Schweizer Fotokünstler. Also der Reihe nach: Zunächst suchte Peters aus zehn Originalaufnahmen von »Big Apple« zwei Bilder aus. Beide zeigen Passanten auf einem Fußweg, einmal sind sie aus einer eher nahen Position, das andere Mal aus einer größeren Distanz abgelichtet. Diese beiden Bilder wurden nun, und dies ist das Entscheidende, am Computer so »manipuliert«, dass jeweils nur Männer beziehungsweise Frauen auf ihnen zu sehen sind. Als Diptychon werden diese gleichsam »geschlechtergetrennten Stadtporträts« dann unter dem Titel Broadway und 9th Avenue gehängt, links jeweils die »Stadt der Männer«, rechts, der italienische Regisseur Federico Fellini lässt grüßen, die »Stadt der Frauen«.
Sicherlich können diese Arbeiten als eine Art »Gender Studies« interpretiert werden, etwa in der Form von: »Wem gehört die Stadt?«. Ist doch ein männlich dominiertes Stadtbild viel weniger irritierend als eines, in dem nur Frauen auftreten. Auch Fragen nach atmosphärischen Veränderungen, die sich auf solchen »geschlechtergetrennten« Bildern möglicherweise ereignen, liegen nahe.1 Spannender jedoch erscheint mir hier das Problem der codierten Wahrnehmung von Bildern, das in den Männern/Frauen so subtil wie präzise im doppelten Sinne des Wortes »vorgeführt« ist, also demonstriert und demontiert zugleich wird. Es beginnt schon mit der Auswahl der zwei Motive: der Broadway und die 9th Avenue – klar, das ist New York! Oder vielleicht doch nur das Klischee dieser Metropole, das uns sofort die Stadt als »Big Apple« erkennen lässt?! Und es ist das Klischee, das den besagten ersten Blick so einfängt, dass ihm die Bildmanipulationen des Künstlers zunächst gar nicht auffallen. Die Codiertheit unseres Blicks wird aber vor allem auch durch die hier simulierte Geschlechtertrennung problematisiert, denn prompt tritt die Frage nach so etwas wie »Geschlechtsspezifischem« auf den Plan: Gehen DIE Frauen wirklich anders als DIE Männer durch die Stadt? (Und was ist mit Lesben und Schwulen?) DER Mann bewegt sich wohl eher zielstrebig und geschäftig, DIE Frauen dagegen gehen schlendernd zum Shopping? Die Antwort von Peters’ Männer/Frauen ist da eindeutig: Selbstverständlich ist es so einfach nicht, ein Unterschied zwischen Frauen und Männern ist kaum zu entdecken, selbst die Kleidung ist ähnlich. So sind geschlechterspezifische Rollenzuschreibungen dann auch nicht zuletzt mediale Konstruktionen,2 die genau deshalb von medialen Formulierungen wie den Männern/Frauen treffend entlarvt werden können.

Die Wirklichkeit des Fotos in der Kunst, Daniel Spanke, Katalog: Plastische Fotografie, Ralf Peters ISBN:3-980836-2-7

Etwas stimmt nicht mit den Bildern Ralf Peters’: Tankstellen ohne jedes Firmenlogo, ohne Schriftzüge und Preisangaben; plastische Objekte aus Architekturen zusammengesetzt, die frei im Raum schweben und die es so gewiss nicht geben kann; Pendants von Fotos der New Yorker 9th Avenue in denen jeweils entweder nur Männer oder nur Frauen zu sehen sind; Reihen von Ferienanlagen, die sich bei näherem Hinsehen aus immer wieder den gleichen Elementen montiert erweisen. Stets baut der Künstler seinen Bildern ein irritierendes Moment ein, das, einmal bemerkt, dafür sorgt, sie sich genauer anzuschauen, kritischer auch. Er digitalisiert die Fotografien und manipuliert sie anschließend am Computer. Doch wenn wir so sprechen, unterstellen wir, dass es die Bilder, die Ralf Peters uns zeigen sollte, schon vor ihrer softwaregestützten Bearbeitung gibt und diese eine Art Fälschung oder Verfälschung bewirkt. Es stellt sich also die Frage, was echt und authentisch in Bezug auf Bilder überhaupt bedeutet und was in diesen Werken das künstlerisch Notwendige ist.

In der Tat betritt die Fotografie die Bühne der Bildgeschichte im frühen 19. Jahrhundert als die Naturwissenschaften die kulturdominanten Auffassungen von Wirklichkeit zum Positivismus und Materialismus hin veränderten – Wirklichkeit ist danach das, was man messen und nachweisen kann. Wahrheit, etwas die des Glaubens oder die der Kunst, wird mit diesem positivistischen Paradigma zu einer eher zweifelhaften, privaten Größe. Ihm kommt jedoch die Technisierung des Bildes, die mit der Fotografie einen ersten Höhepunkt erreichte, sehr entgegen. Als Dokument einer nachzuweisenden Wirklichkeit steht das technische Bild stellvertretend für eigene Erfahrung; in der Medizin etwa kann die Computertomografie die Autopsie ersetzen, die nicht nur das Aufschneiden des Körpers meint, sondern auch das Sehen mit eigenen Augen: aut[o]-opsie, das Selber-Sehen. Der Forscher erweitert die Wahrnehmungsmöglichkeiten seines Körpers, indem er die Autopsie an einen Apparat mit verbesserter oder ganz anderer Sensibilität delegiert. Allerdings mit beträchtlichem Erfolg – die Vorstellung von der Welt in der wir leben, hat sich durch die Möglichkeit technischer Bilder erheblich erweitert und geschärft. Das Bild, wie auch immer es zustande gekommen ist, stellt Nachvollziehbarkeit her. Kaum eine naturwissenschaftliche Veröffentlichung von der Astrophysik bis zur Mikrobiologie, die auf dieses Mittel, Konsensfähigkeit jenseits von Argumenten zu befördern, verzichten könnte. Das Argument besteht aus einer abstrakten, sprachlichen Beweiskette möglichst logischer Natur. Bilder, die als Dokumente betrachtet werden, nehmen hingegen den Charakter von Fakten an, mit denen sich dann argumentieren ließe. Es sind indes Scheinfakten, das heißt, sie repräsentieren Sachen, deren Tatsächlichkeit durch ihre Wahrscheinlichkeit im Bild angenommen werden muss.

Wird das Foto also im Kontext der so genannten hard sciences als Beweis der Wirklichkeit genommen, sind dagegen Fotografien in künstlerischen Zusammenhängen in einen historischen Prozess der Emanzipation der Bilder vom Muster der sichtbaren Welt eingebunden. Dieser Prozess, der zu den wichtigsten der Kunstgeschichte auf dem Weg durch die Neuzeit gehört, löst das Bild von seiner Verpflichtung, Abbild von etwas und gleichsam ein „geöffnetes Fenster in der Wand“ zu sein, wie Leon Battista Alberti 1435 den neuen empirischen Anspruch der Frührenaissance an das Bild formulierte[1], und konstituiert es als Erfahrungsbereich eigener Wirklichkeit. Die vielleicht erstaunlichste und entschlossenste Verwirklichung dieses Emanzipationsprozesses erfährt das Bild mit der Erfindung der so genannten ungegenständlichen Malerei seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. „Geistige“, „innere“ oder „höhere“ Wirklichkeit werden so im künstlerischen Bild der Moderne durch nicht-vergleichbare, nicht-wiedererkennbare, nicht-ähnliche Formen des Ausdrucks darstellbar. Auch in der Malerei hat es seitdem immer wieder Strömungen gegeben, die Wirklichkeit des Sichtbaren wieder ins Bild zurückzuholen: Neue Sachlichkeit oder der Fotorealismus sind hier zu nennen. Doch seit der Erfahrung der modernen Malerei mit ihrer Möglichkeit, völlig andere Realitäten – Innenwelten, Symbolwelten, Bildwelten - sichtbar zu machen, die nach eigenen Gesetzen verfasst sind und die es zu entdecken gibt, ist von einer Malerei die authentische Wiedergabe der empirischen Welt schon von vorneherein viel weniger zu erwarten. Vielmehr wird dieser Anspruch an Bilder im „naturwissenschaftlichen Zeitalter“ an die Fotografie mit ihrem halbautomatischen Aufzeichnungsverfahren übertragen, so sehr auch die Möglichkeiten schon analoger nachträglicher Veränderungen, wie Retusche, Montage, Solarisation u.ä., und alle Register der Inszenierung bekannt sein mögen. Wohl wegen ihrer theoretisch hohen „Welthaltigkeit“ avanciert die Fotografie im letzten Viertel des 20. Jahrhundert zu einer gleichberechtigten, teilweise sogar führenden Kunstgattung.[2] Ihre scheinbar höhere Faktizität hat allerdings auch lange Zeit behindert, dass sie überhaupt mit dem Blick der Kunst wahrgenommen worden ist.[3] Denn schon immer wurde argumentiert, dass das Kunstwerk eben nicht nur die bloße Wiedergabe von Fakten sein dürfe. Mit dieser Begründung wurden etwa spätestens seit dem 16. Jahrhundert sogar große kunsttheoretische Vorbehalte gegen die gesamte Gattung des gemalten Porträts angemeldet. Vielmehr müsse das Kunstwerk darüber hinausführende, geistige Qualitäten aufweisen, die von Epoche zu Epoche anders bestimmt werden.[4]

Als Fotografien sind die Werke von Ralf Peters in diesen Verständnisrahmen hineingestellt, der einerseits durch den quasi naturwissenschaftlichen Anspruch der Dokumentation von Fakten, andererseits von den Ansprüchen an Kunstwerken, mehr als nur bloße Fakten zu verdoppeln, eröffnet wird. Und in der Tat konnten wir schon ganz zu Beginn bemerken, dass Ralf Peters seine Fotografien genau diesen Zwiespalt produzieren lässt. Die Formulierung „Etwas stimmt nicht...“ bezieht sich auf den Bruch mit der Erwartung, Fotografie sei berechtigter- und vielleicht sogar notwendigerweise dokumentarisch, die Kritik solchen Sprechens auf die Erfahrungen mit Kunstwerken, niemals nur Verdoppelungen von Kennbarem zu sein.

[1] Leon Battista Alberti: De pictura [...] libri tres, 1435.

[2] So wird die Fotografie-Klasse von Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Akademie in den 90er Jahren zum hot spot der deutschen und auch internationalen Kunstgeschichte.

[3] S. dazu v. Verfasser: Das Museum der Wirklichkeit. Eine Typologie kompositorischer Bildstrukturen der Werke von Bernd und Hilla Becher und der Düsseldorfer Fotografie. In: Kat. Zwischen Schönheit und Sachlichkeit. Boris Becker + Andreas Gursky + Candida Höfer + Axel Hütte + Thomas Ruff + Thomas Struth. Kunsthalle in Emden 2002, S. 18-31.

[4] S. dazu mit Kapiteln auch zur Fotografie v. Verfasser: Porträt – Ikone – Kunst. Methodologische Studien zur Geschichte des Porträts in der Kunstliteratur. Zu einer Bildtheorie der Kunst. München / Paderborn 2004.